»Je eigenständiger, aufrichtiger und objektiver die Analyse, umso relevanter der Bericht«
Die Designzeitschrift PAGE führte für ihre Novemberausgabe 2013 ein Interview mit Valentin Heisters zum Thema Nachhaltigkeitsberichte. Für den Gestalter und Geschäftsführer von Heisters & Partner geht es in diesen immer wichtiger werdenden Reports nicht um ein grünes Image, sondern um die Substanz. Nachfolgend das ungekürzte Interview.
PAGE: Was ist wichtig, damit ein Nachhaltigkeitsbericht als glaubwürdig wahrgenommen wird?
Valentin Heisters: Dreh- und Angelpunkt eines guten Nachhaltigkeitsberichts ist die sogenannte Materialitätsmatrix, in welcher das Unternehmen zusammen mit den Stakeholdern die Ziele und Themen gewichtet, die im Rahmen einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung als besonders wichtig erachtet werden. Ein Nachhaltigkeitsbericht, der diesen Prozess der Themenfindung objektiv und umfassend darstellt, wirkt per se glaubwürdiger, da er begründet, warum welche Ansprüche der Stakeholder im Nachhaltigkeitsbericht wie bewertet werden und welchen Raum diese erhalten. Hier gibt es zwei besonders wichtige Aspekte: Zum einen die faire Berücksichtigung von kritischen externen Anspruchsgruppen, also z. B. die Berücksichtigung der Ansprüche und Forderungen von NGOs, zum anderen gilt es den unternehmensinternen Bewertungsprozess möglichst nachvollziehbar und transparent darzustellen, der auch aus der Identity des Unternehmens selber schlüssige Ziele und Gewichtungen benennt. Je eigenständiger, aufrichtiger und objektiver diese Analyse im Nachhaltigkeitsbericht vollzogen wird, umso relevanter wird der Bericht, da er ein glaubwürdiges Statement des Unternehmens zu den wichtigsten Ansprüchen der Gesellschaft darstellt. So ist z. B. für ein Unternehmen wie Apple ein Aspekt wie "Arbeitssicherheit und Arbeitsethik" heute von essenzieller Bedeutung, während dieses Thema für ein weniger auf Zulieferer angewiesenes Unternehmen unter Umständen einen anderen Stellenwert hat.
PAGE: Gibt es gestalterische Herausforderungen, die von denen eines Geschäftsberichts abweichen?
Valentin Heisters: Die Gestaltung eines Nachhaltigkeitsberichts muss in seiner konzeptionellen Kernaussage stark an den Ansprüchen, die an das Unternehmen gestellt werden, orientiert werden. Da diese Ansprüche von allen Stakeholdern kommen und zugleich eine Schnittmenge mit den Zielen, welche das Unternehmen an sich selber stellt, bilden, ergibt sich meist eine sehr präzise Problemstellung im Briefing und Rebriefing. Oft läuft es daruf hinaus, dass es genau die Punkte sind, die den wirtschaftlichen Fortschritt als nachhaltiges Konzept darstellen und dabei den Kern der Unternehmens-Identity treffen. Also die innersten Kernwerte, welche für die Zukunftsfähigkeit sprechen. Diese Kernwerte zu beleuchten und ihre Bedeutung für alle Zielgruppen des Berichts gestalterisch umzusetzen und schlüssig herauszustellen, macht das Wesen eines guten Nachhaltigkeitsberichts aus und stellt zugleich eine Herausforderung an das Design dar. Dabei darf die Gestaltung nicht werblich oder überredend wirken. Letztlich muss das Design eines Nachhaltigkeitsberichts die Objektivierung der Selbstwahrnehmung eines Unternehmens unterstützen.
PAGE: Wie wichtig ist der Image-Anteil in einem Nachhaltigkeitsbericht?
Valentin Heisters: Nachhaltigkeitsberichte leiden darunter, dass sie oft als „Imagebroschüren mit grünem Anstrich“ wahrgenommen werden. Plötzlich ist alles so schrecklich grün und vernünftig. Überall wachsen grüne Bäume, und man denkt, das Unternehmen habe noch nie etwas anderes getan als die Meere zu retten oder Patenschaften für Pinguine zu übernehmen. Zum Teil ist es schon haarsträubend, was alles in Nachhaltigkeitsberichten nach vorne gekehrt wird, um den verantwortungsvollen Umgang mit Mensch und Natur zu unterstreichen. Daher ist die Bezeichnung „Imageteil” ein falsches Signal.
PAGE: Aber viele Unternehmen wollen doch ein Image der Nachhaltigkeit ...
Valentin Heisters: Es geht in diesen Reports weniger um das Image als vielmehr um die Substanz. Wenn daraus ein Image ensteht, ist das gut. Wenn es aber nach „Image” aussieht, wedelt der Schwanz mit dem Hund, und die Sache hat gute Chancen nach hinten loszugehen. Denn: Die Leser sind per se kritisch. Und dieser Generalverdacht, dass der Nachhaltigkeitsbericht nur Gutes berichtet und eigentlich eine Werbebroschüre und ein Schönwetterbericht ist, stellt sich für viele Unternehmen, die seriöse Informationen geben wollen und müssen, als schwerwiegendes Problem dar. Denn es gilt ja tatsächlich über die wichtigen Felder einer nachhaltigen Entwicklung zu berichten, und diese Botschaft muss zum Leser glaubwürdig vordringen. Es geht eben um viel mehr als darum, den gängigen Klischees in Sachen Verantwortung zu folgen: Es kommt für die Unternehmen vielmehr darauf an, inhaltlich und konzeptionell individuelle und glaubwürdige Reports zu schaffen, die das nachhaltige Handeln der Unternehmen offen und glaubwürdig kommunizieren. Das bedeutet Vertrauensaufbau durch Information, Offenheit, Eigenständigkeit und das gezielte proaktive Besetzen von kritischen Themen.
PAGE: Was halten Sie von integrierten Berichten?
Valentin Heisters: Viel, solange die Berichte für den Rezipienten inhaltlich irgendwie verdaubar sind, und genau da liegt das Problem: Die rechtlichen Anforderungen an den Geschäftsbericht eines DAX 30 Unternehmens sind heute so gewaltig, dass die Berichte locker auf 230 Seiten kommen. Das ist für den Leser inhaltlich schon kaum zu bewältigen. Die Analyseprofis verwenden weite Teile der Geschäftsberichte als Arbeitsgrundlage und suchen sich gezielt die Informationen, die sie benötigen. Kommen zu diesem Informationsüberfluss dann auch noch die Nachhaltigkeitsthemen, entsteht schnell ein Werk, das es schwer macht, die Statements zur Nachhaltigkeit überhaupt zu finden. Fazit: Der Geschäftsbericht hat ein komplexes Regelwerk zu beachten und bietet bei Weitem nicht so breite Möglichkeiten, das verantwortungsvolle Handeln eines Unternehmens darzustellen. Gefragt sind also übersichtliche und gestalterisch schlüssige Verbindungen der einzelnen Berichtsformate, die auf den ersten Blick klarmachen, wo der Leser welche Informationen erwarten kann. Letztlich läuft es hier mehr auf ein kluges Verbinden und „Zusammenstecken” verschiedener haptischer Berichte hinaus als auf eine Vereinigung aller Informationen in einem Werk.
PAGE: Ausblick: Wie wird sich die Sparte in den nächsten Jahren entwickeln?
Valentin Heisters: Der Nachhaltigkeitsbericht wird sich als dialogisches Medium weiter entwickeln und in Zukunft vermehrt offen kritische Punkte ansprechen, die das Ziel verfolgen, den Dialog mit allen Stakeholdern und Anspruchsgruppen des Unternehmens zu öffnen und einen Austausch von Wissen zu schaffen. Die Unternehmen sind mehr und mehr darauf angewiesen, Kommunikationskonzepte zu erarbeiten, die auch kritisch eingestellten Gruppen Argumente zugänglich machen, indem sie den offenen Informationsaustausch in den Mittelpunkt stellen ohne eine Beichtzeugnis darzustellen. Die richtige Bewertung und das frühzeitige Erkennen von Unternehmensverantwortung für nachhaltige Umwelt- und Sozialaspekte werden zunehmend eine Frage des langfristig erfolgreichen Wirtschaftens sein und über den Bestand ganzer Unternehmen und Branchen entscheiden.